Juristisches

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG):

Gegen die Ablehnung unserer Beschwerde durch den Bundesgerichtshof (BGH) haben wir am 2. September 2016 beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Verfassungsbeschwerde eingereicht. Die Verfassungsbeschwerde in anonymisierter Form findet ihr hier.

Das BVerfG hat, wie am 8. November 2017 bekannt wurde, am 10. Oktober 2017 über die Verfassungsbeschwerde entschieden. Das BVerfG stellte fest, dass die momentane Regelung zum Geschlechtseintrag verfassungswidrig ist und der Gesetzgeber tätig werden muss. Unsere Zusammenfassung des Urteils mit knapper Erläuterung findet sich hier. Unsere Pressemitteilung zur Entscheidung kann hier heruntergeladen werden. Unten in diesem Text findet ihr Links zum BVerfG-Beschluss und den Leitsätzen.

Der Bundesgerichtshof (BGH):

Am 16.2.2015 haben wir beim Bundesgerichtshof (BGH) Beschwerde eingereicht. Diese Beschwerde lehnte der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes am 22. Juni 2016 ab. Den BGH-Beschluss haben wir hier hochgeladen und unsere Pressemitteilung dazu findet ihr hier.

Das Oberlandesgericht (OLG) Celle:

Das Oberlandesgericht Celle hat am 21. Januar 2015 unsere Beschwerde abgelehnt. Wir haben euch das Urteil hochgeladen, da es doch recht interessant ist. Die Entscheidung der OLG Celle ist ein klares: Ja, aber…
JA, ein rein binäres Geschlechtersystem bestehend aus “männlich” und “weiblich” wäre verfassungswidrig, da es gegen das grundgesetzlich geschützte Persönlichkeitsrecht von Menschen verstoßen würde, die weder eine männliche noch eine weibliche geschlechtliche Identität haben.
ABER, die mittlerweile in § 22 Abs. 3 PStG geregelte Möglichkeit den Eintrag offen zu lassen reicht aus.

Die Beschwerde:

Am 20. November 2014 haben wir gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hannover Beschwerde eingelegt, die wir euch hier hochgeladen haben. Wie gewohnt um die persönlichen Angaben gekürzt.

Der Antrag:

Am 28. Juli 2014 haben wir am Standesamt Gehrden bei Hannover den Antrag auf Änderung einer Geburtsurkunde hin zum Geschlechtseintrag „inter/divers“ eingereicht. Den Antrag haben wir euch hier hochgeladen. Er ist um die persönlichen Angaben gekürzt, aber die juristische Argumentation ist für ähnliche Anträge übertragbar.

Die Klage:

In Deutschland sind sogenannte Popularklagen nicht möglich. Es ist nur möglich gegen einen konkreten Rechtsakt einer Behörde, welcher einen persönlich in den eigenen Rechten verletzt/einschränkt, zu klagen. Das heißt unser Vorhaben ist nicht den Staat Deutschland auf die Einführung einer dritten Personenstandsoption zu verklagen. Das ist jedoch letztlich das Ziel. Dies ist auch der Grund warum es keine Alternative ist auf die generelle Abschaffung der Angabe des Geschlechts in der Geburtsurkunde zu klagen. Auch dies könnte nur eine Person individuell tun – womit im Ergebnis nur die Situation des § 22 PStG für Erwachsene geklärt wäre, welcher für uns keine zufriedenstellende Lösung darstellt.

Das Vorgehen ist folgendermaßen: Eine einzelne Person hat, begleitet von der Kampagnengruppe für eine Dritte Option, einen Antrag auf Berichtigung der Geburtsurkunde beim Standesamt Gehrden eingereicht, der an das Amtsgericht Hannover weitergeleitet wurde. Nachdem der Antrag dort – wie erwartet – abgelehnt worden ist, unterstützen wir nun die Person darin, gegen die Ablehnung Beschwerde einzulegen. Die nächsthöhere Instanz nach dem örtlichen Amtsgericht ist das Landgericht. Um Erfolg zu haben werden wir wohl jeweils gegen die Ablehnungen erneut klagen müssen um dann schließlich beim Bundesverfassungsgericht zu landen. Danach gibt es theoretisch noch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, doch wir hoffen, dass es ausreicht bis zum Bundesverfassungsgericht durchzuhalten.

Den zeitlichen Verlauf haben wir nun leider nicht mehr in der Hand. Die Bearbeitungsfristen für Klagen unterscheiden sich je nach Gericht erheblich, daher ist es schwer eine Prognose abzugeben.

Warum wir meinen, dass die Klage Aussicht auf Erfolg hat (Kurzfassung):

In mehreren Urteilen zum TSG (Transsexuellengesetz) bzw. vor Einführung des TSG hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die selbstempfundene geschlechtliche Identität Teil des Persönlichkeitsrechtes ist und somit nach Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 2 Abs. 1 GG grundgesetzlich geschützt.1 Dieses Recht muss somit auch für Menschen geben, die weder Mann noch Frau sind (Art. 3 Abs. 1, 3 GG)2. Eine solche Klage wurde dem Bundesverfassungsgericht noch nicht vorgelegt. Bisher standen staatliche Stellen auf dem Standpunkt, dass alle Menschen Mann oder Frau sind. 2012 befasste sich jedoch der Deutsche Ethikrat mit dem Thema Intersexualität und ließ die Erkenntnis, dass die bisherige Annahme schon immer falsch war endlich auch zu diversen staatlichen Stellen durchdringen.3 So kann mittlerweile die Existenz von Inter*, Trans* und anderen nicht mehr verleugnet werden. So haben neben dem Deutschen Ethikrat unter anderem auch das Verwaltungsgericht Hamburg,4 der Deutsche Bundestag bei der Verabschiedung des AGG (Allgemeines Antidiskriminierungsgesetz)5 und dem § 22 PStG,6 der Bundesrat7und mehrere Fraktionen des letzten Deutschen Bundestages8 offiziell festgestellt, dass es mehr als Mann und Frau gibt.

1 + 1 = 2

Da das Bundesverfassungsgericht das Recht auf Anerkennung der geschlechtlichen Identität bereits bestätigt hat und weitere unverdächtige Stellen (s.o.) die Existenz von Inter*, Trans* und anderen festgestellt haben, folgt daraus zwangsläufig die Verfassungswidrigkeit der Verweigerung eines entsprechenden Personenstandseintrages. Eine entsprechende gesetzliche Regelung wird – neben der Option den Personenstandseintrag gänzlich abzuschaffen – auch vom Deutschen Ethikrat und vom Bundesrat empfohlen.9

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1 U.a. BVerfG v. 11.10.1978 – 1 BvR 16/72, NJW 1979, 595 zur Recht auf Änderung der Personenstandes; BVerfG v. 27.05.2008 – 1 BvR 10/05, BVerfGE 121, 175; BVerfG v. 11.01.2011 – 1 BvR 32905/07, BVerfG 128, 109.

2 Vgl. BVerfG v. 11.10.1978 – 1 BvR 16/72, NJW 1979, 595; VG Hamburg v. 06.03.2012 – 17 E 3126/11, StAZ 2012, 344.

3 http://www.ethikrat.org/themen/medizin-und-pflege/intersexualitaet.

4 VG Hamburg v. 06.03.2012 – 17 E 3126/11, StAZ 2012, 344.

5 Bundestags-Drucksache 16/1780 S. 31.

6 Bundestagsprotokolle 17/27218 ff.

7 Bundestags-Drucksache 17/10489 S. 56.

8 http://www.gruene-bundestag.de/parlament/bundestagsreden/2013/mai/rechte-intersexueller-menschen_ID_4388474.html; http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/132/1713253.pdf

9 Stellungnahme des deutschen Ethikrates vom 23.02.2012 S. 177; Bundestags-Drucksache 17/10489 S. 56.