Erfolg vor dem Amtsgericht Münster – Community Text

Erfolg vor dem Amtsgericht Münster

Das Amtsgericht (AG) Münster hat am 16.12.2019 beschlossen, dass nach einer verfassungskonformen Auslegung des § 45b PStG sowohl eine Streichung des Geschlechtseintrags als auch eine Änderung der Eintragung für Personen möglich sind, die „nach medizinischen Erkenntnissen einem bestimmten biologischen Geschlecht zuzuordnen sind, jedoch subjektiv nicht entsprechend dieser medizinischen Zuordnung empfinden.“

Der Beschluss ist hoffentlich ab dem 30.01.2020 rechtskräftig und – wie Ihr Euch vorstellen könnt- wir sind sehr glücklich diesmal nicht erst beim Bundesverfassungsgericht Recht zu bekommen. Wir freuen uns sehr auf die zweite Person anstoßen können, die wir auf ihrem Weg zum (mehr oder weniger) selbstbestimmten Geschlechtseintrag begleiten durften.

Die Kernaussage des Beschlusses ist, dass eine Beschränkung von § 45b PStG auf Personen, bei denen eine medizinische Diagnose von Intergeschlechtlichkeit besteht, verfassungswidrig wäre. Verfassungsgemäß ist demnach nur eine Anwendung des § 45b PStG unabhängig von dem körperlichen Zustand und ohne Erhebung von medizinischen Diagnosen. Die Anwendung von § 45b PStG ermöglicht eine Streichung des Geschlechtseintrags oder eine Eintragung als ‚divers‘, ‚weiblich‘ oder ‚männlich‘. Aufgrund des Wortlauts des § 45b Abs. 4 PStG hält das AG Münster die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung für notwendig. Diese müsse jedoch nicht von einer*einem Fachärzt*in stammen und müsse nicht auf medizinischen Diagnosen beruhen. Es sei ausreichend, dass die*der Ärzt*in von der Nachhaltigkeit der mitgeteilten Geschlechtsidentität ausgehe.

Die Auslegung des § 45b PStG durch den genannten Gerichtsbeschluss entspricht auch einem aktuellen Gutachten, welches im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) von Prof. Dr. Anna Katharina Mangold, Maya Markwald und Dr. Cara Röhner erstellt wurde (https://eufbox.uni-flensburg.de/index.php/s/WwkHJkHaEaHpkQk#pdfviewer). Wir empfehlen allen, die derzeit einen Rechtsstreit bezüglich § 45b PStG führen dem Standesamt bzw. dem Gericht den Beschluss des AG Münster und das Gutachten zu senden.

Unten findet Ihr unsere Pressemitteilung zu der Entscheidung des Amtsgerichts Münster und hier den Beschluss des AG Münster: https://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/muenster/ag_muenster/j2019/22_III_36_19_Beschluss_20191216.html.

Weitere Gerichtsverfahren

Von dem Jura-Team der ‚Aktion Standesamt 2018‘ wissen wir, dass weitere vergleichbare Gerichtsverfahren laufen oder in Vorbereitung sind – leider bisher ohne positive Gerichtsentscheidungen. Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat jedoch am 11.07.2019 in Falle eines bereits im Jahr 2016 gestellten Antrags aufgrund der subjektiv empfundenen Geschlechtsidentität das Standesamt angewiesen, den Geschlechtseintrag wie beantragt zu streichen. Laut der Entscheidung des OLG Düsseldorf besteht ein Anspruch auf Streichung des Geschlechtseintrags nach §§ 48 Abs. 1, 47 Abs. 1 Nr. 2, 22 Abs. 3 PStG auch für Personen, „die zwar medizinisch nachweisbar einem bestimmten Geschlecht zuzuordnen sind, jedoch subjektiv nicht entsprechend dieser medizinischen Zuordnung empfinden.“ Das Gericht hat die antragstellende Person zu ihrer empfundenen Geschlechtsidentität persönlich angehört und keine anderen ‚Nachweise‘ zu Grunde gelegt.

Kampagne für eine Dritte Option

Wie Ihr seht, waren wir also nicht untätig, auch wenn wir lange nichts haben von uns hören lassen. Entgegen der ursprünglich zeitlich klar begrenzten Kampagne zur Begleitung von Vanja auf dem Weg zum Verfassungsgericht haben wir nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beschlossen als Gruppe Dritte Option weiterzuarbeiten. Denn es erschien uns zunächst wichtig, die politische Umsetzung der Verfassungsgerichtsentscheidung zu begleiten. Doch auch das In-Kraft-Treten des § 22 Abs. 3 PStG und § 45b PStG war für uns kein passender Zeitpunkt die Arbeit einzustellen. Denn zum einen bedarf die Umsetzung der Gesetzesreform sowohl bei den Standesämtern als auch bei anderen Ämtern einer kritischen Begleitung. Zum anderen wurde mit der Gesetzesreform nun eine Minimallösung gewählt, so dass es wichtig bleibt bei geeigneter Gelegenheit immer wieder auf den ausstehenden Reformbedarf hinzuweisen. Aufgrund unserer zeitlichen Kapazitäten können und wollen wir nach Abschluss des zeitintensiven Projekts ‚Verfassungsbeschwerde‘ jedoch nur punktuell tätig werden.

Wie weiter?

Sowohl für die Sichtbarkeit als auch für die rechtliche Anerkennung von nicht-binären Personen war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.10.2017 ein riesiger Schritt. Dennoch bleibt selbstverständlich viel zu tun: Die rechtliche und tatsächliche Existenz von nicht-binären Personen wird noch nicht bei allen Behörden, Arbeitgeber*innen, Schulen, Universitäten, Sportvereinen etc. ausreichend wahrgenommen. Hier muss kleinschrittig von Ort jede Menge Aufklärungsarbeit und auch juristische Auseinandersetzung erfolgen. Im Bereich der Gleichstellungspolitik und des Antidiskriminierungsrechts muss die Gleichstellung von nicht-binären Personen, aber auch von binären inter- und transgeschlechtlichen Personen stärker thematisiert werden. Das derzeitige Abstammungsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) enthält keinerlei Regelung für Personen mit dem Eintrag ‚divers‘ und diskriminiert durch die biologische Zuordnung von Eltern als ‚Mutter und Vater‘ sowohl nicht-binäre Personen als auch gebärende Männer und nicht-gebärende Mütter.

Es macht uns wütend, dass nicht-binäre Menschen und auch binäre trans- und intergeschlechtliche Personen um einen gleichberechtigten Umgang und die ihnen zustehenden Rechte immer wieder kämpfen müssen und vor Ort vielfach erst Aufklärungsarbeit leisten müssen. Wir können jedoch nur alle dazu ermutigen dies zu tun. Auch einzelne Personen bzw. wenige Menschen können unserer Einschätzung nach gerade hinsichtlich der Umsetzung des Personenstandsgesetzes und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurzeit viel erreichen. Auch wenn wir uns wünschen würden unsere Gruppe hätte ausreichende Kapazitäten, um in all diesen Fällen emotional und juristisch zu unterstützen und politisch bzw. öffentlichkeitswirksam zu intervenieren, ist das Gegenteil der Fall. Wir können leider auch keine Einzelfallberatung leisten. Wir raten allen Menschen, sich vor Ort zusammen zu tun, um nicht alleine kämpfen zu müssen. Möglicherweise können Trans*-Beratungsstellen, queere Zentren o.ä. euch Hinweise zu lokalen und regionalen Vernetzungsmögichkeiten geben und euch vielleicht sogar konkret begleiten. Wir wünschen allen, die diese Kämpfe führen, von Herzen alles Gute, einen guten Support und viel Erfolg!

 

Oftmals ist sowohl für Einzelfälle als auch für ‚Musterfälle‘ juristischer Support notwendig bzw. sinnvoll. Da wir bereits häufig nach entsprechenden Ratschlägen gebeten wurden: Wir haben bisher mit folgenden Anwältinnen zusammengearbeitet: Katrin Niedenthal aus Bielefeld, Inken Stern aus Berlin und Friederike Boll aus Frankfurt/Main. Das heißt nicht, dass es nicht noch weitere Anwält*innen gibt, die sich kompetent für Inter*- und Trans*-Belange einsetzen, aber jedenfalls mit den genannten haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.

Wie weiter in ‚der Community‘?

Auch innerhalb der LSBTIQ*-Communitys hat sich seit wir 2013 starteten nach unserer Wahrnehmung einiges getan, aber zugleich ist auch hier noch viel zu tun. Inter* und (inter* und dyadische) nicht-binäre Menschen sind in LSBTIQ*-Communitys und darüber hinaus deutlich sichtbarer geworden und die Selbstorganisierung hat zugenommen. Gleichzeitig wird leider auch in LSBTIQ*-Communitys die Realität geschlechtlicher Vielfalt noch zu oft übersehen und es fehlt an Wissen und Sensibilisierung bezüglich der Lebensrealitäten und Anliegen von inter* und (inter* und dyadischen) nicht-binären Menschen.

Auch innerhalb von Trans*-Communitys ist weiterhin gegenseitige Sensibilisierung und Aufklärung für unsere Unterschiedlichkeiten notwendig. Wir möchten mit euch gemeinsam darauf hinarbeiten, dass das Verhältnis zwischen nicht-binären und binären trans* Menschen sowie zwischen dyadischen trans* Menschen und inter* Menschen von gegenseitigem Respekt und solidarischem Handeln geprägt ist. Wir sprechen uns dafür aus, Inter*- und Trans*-Belange sowie binäre und nicht-binäre Belange verstärkt zusammenzudenken und gemeinsam ihre Spezifika zu beleuchten. So können wir feststellen, wo gemeinsame Interessen bestehen und wie diese gemeinsam erkämpft werden können und uns bei spezifischen Anliegen gegenseitig solidarisch zeigen. Dort, wo es divergierende Interessen bzw. Anliegen gibt, möchten wir in Gesprächen gemeinsam herausarbeiten, wie wir gut miteinander arbeiten können und sicherstellen, dass nicht gegeneinander agiert wird.