Juristische Zusammenfassung und knappe Erläuterung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16

Was hat das BVerfG konkret entschieden?
1. Die Regelungen des Personenstandsgesetzes sind verfassungswidrig, soweit sie eine Eintragung des Geschlechts vorsehen, aber keine „dritte Option“ ermöglichen.
2. Der Gesetzgeber muss bis zum 31.12.2018 eine neue Regelung verabschieden.
3. Antragsverfahren auf eine „dritte Option“ sind bis zu einer gesetzlichen Neuregelung auszusetzen (Rn 66). Das heißt, ein Antrag darf momentan nicht abgelehnt werden, sondern der Antrag „liegt auf Eis“.
Dies gilt nicht für Anträge auf eine Streichung des Eintrags!
Was passiert, wenn es zum 31.12.2018 noch kein neues Gesetz gibt, wissen wir noch nicht. Ein bisschen Spannung bleibt.

Welche Optionen hat der Gesetzgeber?
Grundsätzlich sind zwei Lösungen denkbar:
Das Geschlecht wird bei niemandem mehr eingetragen oder es gibt zukünftig mindestens vier Möglichkeiten: männlich, weiblich, offen lassen, dritte Option (Rn 51).

Was hat das BVerfG ausdrücklich dem Gesetzgeber überlassen bzw. welche Einschränkungen eines Anspruchs auf einen Eintrag jenseits von männlich und weiblich sind möglich?
Es wird an zwei Stellen erwähnt, dass es um eine dauerhafte Geschlechtsidentität geht. An anderer Stelle wird auch klargestellt, dass es keinen Anspruch gibt auf die Eintragung „beliebige(r) Identitätsmerkmale“, die das Geschlecht betreffen (Rn 52).
Auch die Voraussetzungen für einen dritten Eintrag und damit eben auch die Kriterien, an denen ggf. eine „Dauerhaftigkeit“ einer Identität festgestellt bzw. die „Beliebigkeit“ ausgeschlossen wird, sind explizit dem Gesetzgeber überlassen (Rn 55).
Rechtlich ist es also möglich bspw. Gutachten wie im TSG vorzuschreiben. Es ist weniger eine juristische als eine politische Frage aufzuzeigen, dass Gutachten überflüssig sind.
Ebenfalls explizit offen gelassen wurde die Frage nach der Benennung der dritten Option (Rn 65). Die Möglichkeit, als „Inter/divers“ eingetragen zu werden, wie Vanja es beantragt hatte, wäre verfassungsgemäß, aber auch andere Möglichkeiten. Im Beschluss des BVerfG findet sich zwar die Formulierung „eine einheitliche positive Bezeichnung“ (Rn 65), aber dies bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber zwingend nur einen Begriff vorschreiben kann; allerdings wäre es wahrscheinlich nach Ansicht des BVerfG verfassungsgemäß einen einzigen dritten Begriff festzulegen.

Welche Personen werden von dem Beschluss erfasst, bzw. wie selbstbestimmt ist die dritte Option?
Völlig eindeutig ist, dass es um Personen geht, „die sich selbst dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen“ (Rn 35, auch Rn 59). Das heißt, es geht um das selbstdefinierte Geschlecht.
Und zwar unabhängig davon, ob der/*/die einzelne die geschlechtliche Identität von dem körperlichen Zustand abhängig macht oder nicht. Das BVerfG spricht zwar an zwei Stellen von „Personen, deren Geschlechtsentwicklung gegenüber einer weiblichen oder männlichen Geschlechtsentwicklung Varianten aufweist“ (Rn 35, 51), aber außer diesen beiden Formulierungen findet sich in den Entscheidungsgründen keinerlei Hinweis auf eine Abhängigkeit von der körperlichen Konstitution und erst recht keine Ausführungen zu einer fremdbestimmten Geschlechtszuordnung.
Damit einhergehend ist es auch ganz klar, dass wie bisher schon inter* Personen entsprechend ihrer Identität als männlich oder weiblich eingetragen werden können – es also keinesfalls einen Zwang zur dritten Option gibt (Rn 51). Damit dürfte auch die Verwaltungsvorschrift zu § 22 Abs. 3 PStG, die medizinische Unterlagen einfordert, verfassungswidrig sein.

Welche Auswirkungen hat der Beschluss für andere Bereiche als den Personenstandseintrag?
Das BVerfG hat noch einmal klargestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG die geschlechtliche Identität schützt (Rn 39). Neu ist, dass ganz explizit klargestellt wurde, dass dies auch für die geschlechtliche Identität jenseits von männlich und weiblich gilt (Rn 40).
Des Weiteren wird auch festgestellt, dass Personen, die nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugehörig sind, auch durch das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG geschützt sind (Rn 58). Dabei wird diesem Schutz eine besondere Bedeutung gemessen, da die Vulnerabilität (Verletzbarkeit) von Personen, deren geschlechtliche Identität weder männlich noch weiblich ist, besonders hoch ist (Rn 59).
Damit wird zugleich klargestellt, dass das Wort „Geschlecht“ in deutschen Gesetzen nicht als „Mann oder Frau“ auszulegen ist (Rn 59).
Mit diesen beiden Grundsätzen, die das BVerfG auch in seinen Leitsätzen heraushebt, ist klar, dass es in allen Lebensbereichen eine Gleichstellung von Personen geben muss, die nicht männlich oder weiblich sind.

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