Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht

Wie heute, am 8.11.2017, öffentlich wurde, hat das Bundesverfassungsgericht am 10.10.2017 entschieden, dass die momentane Regelung zum Geschlechtseintrag verfassungswidrig ist. Laut dieser Entscheidung darf entweder gar kein Geschlechtseintrag vorgeschrieben werden oder es muss eine dritte Option geschaffen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber dazu angewiesen, das Personenstandsrecht bis zum 31.12.2018 entsprechend zu ändern.

Bereits seit 2014 kämpft Vanja vor Gericht um einen korrekten Geschlechtseintrag. Vanja wehrt sich dagegen, auf „Mann“ oder „Frau“ ausweichen zu müssen oder den Geschlechtseintrag ganz streichen zu lassen. Mehrere Gerichtsinstanzen hatten den Antrag und die Klage Vanjas mit der Begründung abgelehnt, dass das deutsche Rechtssystem binär sei und keinen dritten Geschlechtseintrag zulasse.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun Vanja darin bestätigt, dass durch die bloße “Streichung des bisherigen Geschlechtseintrags nicht abgebildet würde, dass Vanja sich zwar nicht als Mann oder als Frau, aber auch nicht als geschlechtslos begreift, und nach eigenem Empfinden ein Geschlecht jenseits von männlich oder weiblich hat” (Zitat BVerfG). Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu in seiner heute veröffentlichten Entscheidung aus: “Die „fehlende Angabe“ belässt es bei dem allein binären Grundmuster der Geschlechtszugehörigkeit und ruft den Eindruck hervor, dass die rechtliche Anerkennung einer weiteren Geschlechtsidentität nicht in Betracht kommt und die Geschlechtseintragung lediglich noch nicht geklärt, noch keiner Lösung zugeführt oder auch vergessen wurde.”
Da die derzeitige Gesetzeslage verfassungswidrig ist, hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgegeber eine Frist bis zum 31.12.2018 gesetzt, um eine Reform durchzuführen, die den Grundrechten von Personen, die nicht Mann oder Frau sind, gerecht wird. Dabei obliegt es dem Gesetzgeber zu entscheiden, ob er den Eintrag des Geschlechts im Personenstandsregister gänzlich abschafft oder mehr positive Eintragungsmöglichkeiten als “männlich” und “weiblich” zulässt. Prof. Dr. Friedericke Wapler, eine der Mitverfasser*innen der Verfassungsbeschwerde, betont, dass der Gesetzgeber sich fragen müsse, ob es noch Gründe dafür gibt an einer personenstandsrechtlichen Erfassung des Geschlechts festzuhalten.

Prof. Dr. Konstanze Plett, ebenfalls eine Mitverfasserin der Verfassungsbeschwerde, zeigt sich erfreut darüber, dass das Bundesverfassungsgericht nun explizit ein häufig gebrauchtes Gegenargument entkräftet hat. In vielen – auch und vor allem juristischen – Kommentaren war und ist zu lesen, das Grundgesetz erlaube nur zwei Geschlechter, weil in Artikel 3 Absatz 2 nur von Männern und Frauen die Rede sei. Das Gericht hat nunmehr klargestellt, dass seine eigene Aussage von 1978 (in seiner ersten Entscheidung zu Transidentität), die deutsche Rechtsordnung gehe von dem Prinzip aus, jeder Mensch sei entweder dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen, nur eine zur damaligen Zeit geltende Zustandsbeschreibung der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Geschlecht war, nicht aber eine normative Feststellung, dass das Grundgesetz nur diese beiden Ausprägungen von Geschlecht erlaube. Des Weiteren weist Prof. Dr. Konstanze Plett darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht deutlich macht, dass mit seiner Entscheidung keiner Person etwas weggenommen wird. Vor allem werde niemand zur dritten Option gezwungen, auch nicht intergeschlechtliche Menschen. Soweit diese für sich eine weibliche oder eine männliche Identität entwickelt hätten, könne und müsse die Möglichkeit, als solche registriert zu werden, erhalten bleiben.

Für die Aktivist*innen der Kampagnengruppe Dritte Option, die Vanja auf dem Weg durch die Instanzen unterstützt hat, ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine historische: “Endlich ist auch durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt worden, dass es mehr Geschlechter gibt als Mann und Frau, und dass nicht-binäre inter* und nicht-binäre trans* Menschen nicht falsch sind, sondern genauso ein Recht auf Geschlecht haben wie alle anderen auch. Zum ersten mal gibt es jetzt in der Bundesrepublik eine Rechtssicherheit über den grundrechtlichen Schutz von Menschen, die weder Frau noch Mann sind. Wir hoffen, dass dieser Erfolg jetzt dazu genutzt wird, überall da gegen Diskriminierung zu kämpfen, wo inter* und trans* Menschen noch immer aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt werden” (Moritz Schmidt – Pressesprecher der Kampagnengruppe Dritte Option).

Die Aktivist*innen der Kampagnengruppe und ihre Unterstützer*innen werden diesen Prozess gemeinsam mit Vanja weiter begleiten. Die relativ kurze Frist dürfte an sich kein Problem darstellen. Moritz Schmidt: “Mit dem Gutachten des Deutschen Instituts für Menschenrechte liegt bereits seit Anfang dieses Jahres eine sehr gute Grundlage für einen Gesetzesentwurf vor, die nun darauf wartet vom aktuellen Gesetzgeber aufgegriffen zu werden.”

“Die rechtliche Anerkennung ist ja eigentlich nur der erste Schritt. Es geht jetzt darum, von hier aus weiter zu blicken und uns gemeinsam dafür einzusetzen, die Situation von inter* und trans* Menschen weiter zu verbessern,” so ein*e Sprecher*in der Kampagnengruppe. Daher betont die Anwältin von Vanja, Katrin Niedenthal, wie bedeutend die Klarstellung des Bundesverfassungsgerichts ist, dass das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts aus Art. 3 Abs. 3 GG nicht nur Frauen und Männer, sondern auch andere Geschlechtsidentitäten schützt. Die heute veröffentlichte Entscheidung dürfte damit nicht nur Auswirkungen auf das Personenstandsrecht, sondern auch auf andere Lebensbereiche haben. So darf nicht vergessen werden, dass das von Inter*Gruppen seit Langem geforderte explizite Verbot von nicht medizinisch notwendigen Operationen an Minderjährigen ohne deren Einwilligung immer noch nicht vom Gesetzgeber umgesetzt wurde.

Die Kampagnengruppe Dritte Option fordert den Gesetzgeber auf, die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass sowohl durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht als auch durch Art. 3 Abs. 3 GG die “geschlechtliche Identität jener Personen, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind” geschützt ist, ernst zu nehmen und bei der anstehenden Reform darauf zu achten, dass alle betroffenen Personenkreise unabhängig von der jeweiligen biologischen Konstitution – also nicht-binäre inter* und nicht-binäre trans* Menschen – in gesetzliche Neuregelungen einbezogen sind, um weitere Rechtsunklarheiten und Grundrechtsverstöße zu vermeiden. Auch Prof. Dr. Friedericke Wapler betont, dass es nach der konsequenten Weiterentwicklung der Rechtsprechung zum Persönlichkeitsrecht durch das Bundesverfassungsgericht nun am Gesetzgeber liege, eine diskriminierungsfreie Regelung zu finden.

Hier ist der Leitsatz des Bundesverfassungsgerichts und hier der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hochgeladen.