Vorläufige FAQ zum reformierten Personenstandsrecht

Kurz vor knapp zum Fristende ist das neue umkämpfte Gesetz nun beschlossen worden. Im Folgenden findet ihr einige Informationen zu zentralen Fragen. Um unsere Einschätzungen verbessern zu können und Anfragen von Personen, die einen Antrag stellen wollen/gestellt haben, beantworten zu können, sind wir auch auf eure Berichte über eure Antragstellung und die Reaktion der Standesämter angewiesen.

1. Wann tritt das Gesetz genau in Kraft?

Der Gesetzesentwurf wurde im Bundestag und Bundesrat verabschiedet und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Damit ist es bereits in Kraft:
Link zum Bundesgesetzblatt (PDF)

2. Welche Einträge sind nach dem neuen Gesetz möglich?

Männlich, weiblich, divers, kein Eintrag

3. Welche Voraussetzungen bestehen nach dem Gesetz für einen Eintrag als divers?

  • Es muss eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegen.

Nach der Gesetzesbegründung ist damit gemeint, dass eine medizinische Diagnose auf Grund einer Inkongruenz der Geschlechtschromosomen, des Genitals oder der Gonaden vorliegt.

  • Es muss eine ärztliches Attest vorliegen, dass eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ besteht.
  • Es muss eine Erklärung gegenüber dem Standesamt abgegeben werden, dass der Geschlechtseintrag in „divers“ geändert werden soll.

Die Erklärungen müssen öffentlich beglaubigt werden. Das bedeutet, dass die Erklärung persönlich unterschrieben werden muss und dies von ein* Notar*in beglaubigt werden muss. Die Erklärung kann aber auch beim Standesamt persönlich unterschrieben und dort beglaubigt werden. Dies müsste bei jedem Standesamt (also auch einfach bei dem Standesamt der Stadt in der Du wohnst) und nicht nur dem zuständigen Standesamt gehen.

4. Kann gleichzeitig auch der Vorname geändert werden?

Ja, es können zugleich neue Vornamen bestimmt werden ohne weitere Voraussetzungen erfüllen zu müssen.

5. Welche Voraussetzungen bestehen nach dem Gesetz für die Streichung/Offenlassen des Geschlechtseintrags?

Die gleichen wie bei der Eintragung als divers.

6. Welche Voraussetzungen muss ein ärztliches Attest erfüllen?

Nach der Gesetzesbegründung muss das Attest keinerlei konkrete medizinische/körperliche Details enthalten und auch keine konkrete Diagnose. Es muss ‚lediglich‘ bestätigen, dass eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ besteht. Es wird explizit KEIN Gutachten und KEINE amtsärztliche Untersuchung gefordert. Mehr zum Umgang mit der Attestpflicht und der Option stattdessen eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, werden wir bald veröffentlichen.

So wie es durch die Regierungsfraktionen in der Bundestagsdebatte dargestellt wurde, muss das Attest nicht aktuell sein und nicht speziell für den Antrag ausgestellt worden sein. Menschen, die über ärztliche Unterlagen verfügen, müssen also nicht erneut eine*n Ärzt*in aufsuchen.

Diese älteren ärztlichen Unterlagen werden vermutlich nicht exakt mitteilen, dass eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt, sondern dies wird sich indirekt aus einer mitgeteilten Diagnose oder Untersuchungsergebnissen ergeben. Ob bei den Standesämtern die notwendige Kompetenz besteht, die Atteste zu „übersetzen“, bezweifeln wir – aber das wird die Praxis zeigen müssen.

7. Welches Standesamt ist zuständig?

Es ist das Standesamt des Geburtsortes zuständig.

Liegt der Geburtsort nicht in Deutschland, ist das Standesamt zuständig, das das Eheregister oder Lebenspartnerschaftsregister der Person führt. Liegt auch keine Ehe oder Lebenspartnerschaft vor, dann ist das Standesamt des Wohnortes zuständig. Besteht derzeit kein Wohnort in Deutschland, dann ist das Standesamt des letzten Wohnortes zuständig.

Liegt keine der genannten Varianten vor, dann ist ersatzweise das Standesamt I in Berlin zuständig.

8. Wie ist die Situation für Minderjährige?

Bei Personen unter 14 Jahren kann nur der/die gesetzlichen Vertreter*innen die Erklärung abgeben.

Bei Personen zwischen 14 und 18 Jahren muss zusätzlich zu der eigenen Erklärung noch eine Zustimmung der/des gesetzlichen Vertreter*s*in vorliegen.

Stimmt der/die gesetzliche Vertreter*in nicht zu, so ersetzt das Familiengericht die Zustimmung, wenn die Änderung der Angabe zum Geschlecht oder der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht.

9. Gilt die Regelung nur für Personen mit einer deutschen Staatsangehörigkeit?

Grundsätzlich kommt es darauf an, ob eine Eintragung in einem deutschen Personenstandsregister vorliegt.

Wurde die Geburt nicht in Deutschland registriert, ist eine Erklärung über die zutreffende Geschlechtsbezeichnung oder Streichung der Geschlechtsbezeichnung möglich wenn eine deutsche Staatsangehörigkeit besteht oder die betreffende Person

– als Staatenlose*r oder heimatlose*r Ausländer*in, als Asylberechtigte*r oder ausländischer Flüchtling in Deutschland wohnen

– die Staatsangehörigkeit eines Landes hat, das keine vergleichbare Regelung kennt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder eine verlängerbare Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich dauerhaft rechtmäßig in Deutschland aufhält, eine Blaue Karte EU besitzt.

10. Was sind jetzt die Möglichkeit für Personen, die kein ärztliches Attest vorlegen können/wollen?

Der Gesetzesentwurf wurde sehr kurzfristig geändert und die Reglung eingefügt, dass die Vorlage des Attest durch eine Versicherung an Eides statt ersetzt werden kann, wenn die Person „über keine ärztliche Bescheinigung einer erfolgten medizinischen Behandlung verfügt und das Vorliegen der Variante der Geschlechtsentwicklung wegen der Behandlung nicht mehr oder nur durch eine unzumutbare Untersuchung nachgewiesen werden kann“.

Da die Regelung erst kurzfristig ergänzt wurde, haben wir uns noch nicht ausführlich mit dieser Variante beschäftigen können. Daher nur kurz zur Erläuterung: Eine Versicherung an Eides statt, die bewusst oder fahrlässig falsch ist, stellt eine Straftat dar.

Welchen Inhalt genau diese Versicherung haben soll, ist uns noch unklar.

Wer weder ein Attest noch eine Versicherung an Eides statt vorlegen kann/will, kann nach dem Gesetz keine Streichung der Geschlechtsangabe oder Eintragung als „divers“ bekommen.

Wie wir bereits in den Musteranträgen zur Aktion Standesamt 2018 dargelegt haben, halten wir dies für verfassungswidrig und daher Klagen gegen ablehnende Entscheidungen grundsätzlich für erfolgversprechend.

Was in der neuen Situation des nun verabschiedeten Gesetzes strategisch bzw. juristisch das beste Vorgehen ist, muss nun erst einmal überlegt werden.