Verfassungsbeschwerde gegen den BGH-Beschluss vom 22.4.2020 zum §45 b PStG

Am 15. Juni 2020 wurde gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) zum § 45b PStG vom 22. April eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Unterstützt wurde die beschwerdeführende Person dabei auch von den Jurist*innen, die bereits die Verfassungsbeschwerde für Vanja geschrieben haben. Auch inhaltlich knüpft die jetzige Verfassungsbeschwerde an die Verfassungsbeschwerde der Gruppe Dritte Option an – denn es geht weiterhin um das Recht auf die Anerkennung der eigenen geschlechtlichen Identität.

Der BGH hatte entschieden, dass eine endogeschlechtliche nicht-binäre Person nicht über § 45b PStG ihren Geschlechtsantrag streichen lassen kann, aber dass es über das Transsexuellengesetz (TSG) möglich sein muss, den Geschlechtseintrag streichen zu lassen oder in ‚divers‘ zu ändern. (Weitere Infos zum BGH-Beschluss findet ihr in unserem Statement). Die Auslegung des BGH verstößt unserer Ansicht nach klar gegen Grundrechte und widerspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Nach Ansicht des BGH bedarf es für eine Streichung des Geschlechtseintrages nach § 45b PStG einer Diagnose einer körperlichen Variante der Geschlechtsentwicklung. Da es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen Anspruch auf rechtliche Anerkennung der eigenen Geschlechtsidentität (unabhängig von dem körperlichen Zustand) gibt, gehen wir davon aus, dass eine Verknüpfung einer Erklärung nach dem § 45b PStG mit einer ärztlichen Aussage über den Körper gegen dieses Recht (Allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 GG) verstößt. Daneben liegt nach unserer Ansicht aber auch eine unzulässige Benachteiligung nach Art. 3 Abs. 3 GG und eine Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn manche Personen bereits ab Geburt einen zutreffenden Geschlechtseintrag haben und andere Personen einen solchen Eintrag bzw. die Streichung des falschen Eintrags nur erreichen können, wenn sie ärztliche Bescheinigungen vorlegen oder ein TSG-Verfahren mit psychiatrischer Begutachtung durchführen lassen.

Hinzu kommt, dass der BGH nicht nur die Anwendung des § 45b PStG abgelehnt hat, sondern die antragstellende Person zudem auf ein Verfahren nach dem TSG in analoger Anwendung verwiesen hat. Das bedeutet, dass auch der BGH davon ausgeht, dass das TSG eigentlich nicht anwendbar ist bei einem Antrag auf Streichung des Geschlechtseintrags. Der BGH hält das TSG jedoch mangels einer anderen Regelung für über den eigentlichen Anwendungsbereich hinaus anwendbar. Das TSG ist jedoch aus verschiedenen Gründen verfassungsrechtlich fragwürdig und der TSG-Weg zudem langwieriger und teurer als die Anwendung des § 45b PStG. Es ist also nicht nachvollziehbar, warum der BGH ein sehr altes und in weiten Teilen bereits für verfassungswidrig erklärtes Gesetz über seinen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus anwenden möchte, anstatt die Regelung des § 45b PStG oder allgemeine Auffangregelungen des PStG anzuwenden.

Wer die juristische Argumentation in der Verfassungsbeschwerde im Detail nachlesen möchte, kann dies hier tun.

Mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde ist leider nicht mehr in diesem Jahr zu rechnen.  Es besteht die Möglichkeit, dass zu diesem Zeitpunkt das TSG schon aufgehoben und durch den Bundestag Regelungen zur Vornamens- und Personenstandsänderung beschlossen sein werden, die das Selbstbestimmungsrecht achtet. Doch darauf können wir uns leider nicht verlassen. Wir arbeiten weiter darauf hin, dass es über den rechtlichen oder den politischen Weg endlich gelingt, dass der Zugang zum passenden Geschlechtseintrag und zur Streichung des Eintrags (ebenso wie zur Vornamensänderung) endlich für alle selbstbestimmt – ohne Gutachten oder medizinische Nachweise und ohne Gerichtsverfahren – möglich ist.

Interesse an weiteren Infos?

Zur Verfassungsbeschwerde haben die Gesellschaft für Freiheitsrechte, der BVT*, die dgti und der LSVD eine gemeinsame Pressemitteilung verfasst, der wir uns inhaltlich anschließen.

Berichtet wurde über das Einreichen der Verfassungsbeschwerde beispielsweise auf tagesschau.de und auf queer.de .